Rainer, zwei Lehrjahre weiter als ich, kam eines Tages mit einem hellblauen Motorroller zur Arbeit. So oft es ging, schlich ich um dieses Fahrzeug herum. ‚JIM II’ war mit schwarzer Farbe freihändig an der Lenksäule aufgemalt. Abends konnte ich dieses Fahrzeug des öfteren durch unser sommerliches Eckernförde fahren hören und sehen. Nicht dran zu denken, dass dieses Gefährt einmal mir gehören könnte. Mein Fahrzeug war ein Rabeneick-Fahrrad, ein Geschenk von meiner Omma Käthe gegenüber dem Ruhr-Zoo.
Um es kurz zu machen, Rainer hatte meine heisse Liebe zu dem Teil mit den tollen Rundungen erkannt und überließ mir den Roller für DM 60,-; ein komplettes ‚Monatsgehalt’ für mich! Na gut, er benötigte Geld für sein vor ihm liegendes Studium. Nein, ein Heinkel war es nicht, aber eine NSU-Prima, die stolze Schwester der Lambretta, hier nur ein Beispielbild:
ein Zweitakt-Stinker mit zwei wunderbar gefederten Einzelsitzen sowie E-Start.
Die erste längere Fahrt, mit meinem ältesten Bruder als Sozius & Finanzier, brachte uns über die Schweiz (in Como durften wir nicht im Bahnhof übernachten, wir wurden rausgeworfen - auch unvergessen: bei Mailand in der Nacht Wolken von Glühwürmchen), nach Genua und Savona in Italien. Wir wollten unbedingt das Mittelmeer sehen! Wir kamen eine Woche später tatsächlich, über Gelsenkirchen und Dortmund, heil zurück. Und alles ohne Sturzhelm, als Regenschutz nur den gelben Ostfriesennerz. Das war 1965.
Ein Mit-Lehrling gab eines Tages bekannt, dass sein älterer Bruder einen Heinkel loswerden wolle. Der Kauf eines Autos war natürlich der Auslöser. Aus diesem Grunde auch wurden die meisten motorisierten Zweiräder seinerzeit ‚in die Ecke gestellt’.
Was war denn ein ‚Heinkel’ nun wieder? In den 60er Jahren brummten, knatterten und rödelten noch derart viele Zweiräder auf den Strassen herum, daß ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, mir irgendwelche Markennamen zu merken. Das junge Leben blühte mit vielen anderen Wichtigkeiten.
Man ahnt es, der 103.A1 wurde mein für DM 100,-. Dieses Teil in Pelikan-Rot mit schwarzem Beinschild hatte mich dann am Ende der Lehrzeit sowie die 18 Monate beim allgemein bekannten Oliv-Club und noch etwas länger begleitet.
Geschraubt wurde kaum und Ölwechsel viel zu selten durchgeführt; Öl kostet Geld! Reicht doch schon, für Benzin Geld auszugeben.
Die erste längere Heinkel-Reise mit einem jüngeren Bruder als Sozius brachte uns dann, (…wieder über die Schweiz, in Altdorf im Kanton-Uri lebte ein anderer Bruder, man konnte sich endlich einmal sattessen und vernünftig schlafen…, und den St. Gotthard Pass)
nach Genua und weiter nach Westen in den Fischerort Noli. Dieses kleine Städtchen mit seinen engen Gassen empfanden wir als sehr exotisch. Am nahegelegenen wilden Strand bauten wir unser gelbes Neckermann-2-Mann-Zelt, dieses hatte einen stinkenden PVC-Boden, auf; nix mit Überzelt & Co. und sonstigem tralala.
Uns Ostsee-Gewohnte empfing das Mittelmeer mit Badewannen-Temperatur. Was machte das bisschen Salz in den Augen schon. Wir hatten für einige Tage unser Schnorchel-Paradies entdeckt. Selbstredend fuhren wir Abends nach Noli rein zum Spaghetti-Essen. Sicherheitstechnisch natürlich mit Shorts und kurzärmeligem Hemd sowie Sandalen ausgerüstet. Und ja, mit Sonnenbrille. Die aber nicht der Sonne wegen; die Fluginsekten schienen immer auf unsere Augen zu zielen. Auch diese Fahrt überstanden wir ohne technische Mucken.
Mit einem Minimum an Werkzeugen im Seesack hätten wir sowieso kaum etwas reparieren können.
Der Beginn einer technischen Ahnung hing aber schon in der Luft.
Mit Freund Michael zusammen, danke für Deine Begleitung und die unvergessene gemeinsame Zeit, erlebte mein 103.A1, einen Namen hatte er nicht, und wir, die schönste und längste Reise. Endlich einmal ZWEI Fahrer! Eckpunkte: Eckernförde > Altdorf Kanton Uri > Genua > Barcelona > Gibraltar > Lissabon > Pyrenäen > Paris > Eckernförde. Diese Reise ist es wert, zu einem eigenen Bericht zu werden. In Bälde. Irgendwo müssen erst noch alte Bilder ausgegraben werden.
Im Jahr 1969, meine beruflichen Auslandsaufenthalte begannen, wurde der 103.A1 an einen Altmetallhändler gegeben. Zum Weinen das! Ab 1986 war dann wieder sog. bürgerliches Leben angesagt.
Ich musste erst Klaus Kiessling im Kernkraftwerk-Hamm-Uentrop treffen, um zu erfahren, dass immer noch eine Heinkel-Szene in Deutschland existiert. Er verkaufte mir nach allerlei Gesprächen einen neuen Heinkel-KS-Kolben. Somit hatte er mich, moralisch gesehen, verpflichtet, mir einen passenden Roller für den Kolben zu suchen. Oder war’s Hypnose?
In Herten bei Gelsenkirchen holte ich dann etwas später eine Klein-LKW-Ladung an schmierigen, verrosteten und öligen aber nicht zu teuren Heinkel-Teilen ab. Teils ineinander verkeilt, teils in Bananenkisten, teils in Tabak- und Honig- und sonstigen Dosen und Behältnissen, teils mit alten Mäusenestern in teilzerlegten Motoren, teils undefinierbarer ‚Schrott’, Kurbelwellen mit den Resten eines Pleuels, diverse Blechhaufen, alles umgeben von einem eigenartigen ‚Duft’ und einer Aura, die sehr sehr viel Arbeit für die Zukunft versprach.
Kann mir bitte einmal jemand mit wenigen Worten erklären, wieso sich ein Mensch solches antut?
In den ersten Jahren meiner Sichtung der Teile und vor Beginn der Schrauberei besuchte ich die Frau des leider bereits verstorbenen Letztbesitzers E. B. aus Westerholt. Als sie voller Begeisterung und so farbig von den gemeinsamen Rollerfahrten schwärmte, als sei es erst vor wenigen Wochen gewesen, wurde mir dann doch noch leicht blümerant.
Ich versprach ihr, dass der zuletzt zugelassene Roller bald wieder auf der Strasse sein würde. Ihre wahrhaftige und übergrosse Freude hierauf war nicht zu übersehen.
Will es kurz machen. Heute stehen bei mir ‚Heini’, ‚Luzi’ und ‚Zombie’ in der Garage.
An ‚Heini’ (vorn im Bild) habe ich meine Heinkel-Lehre gemacht, war wahrhaftig nicht kosten- und stressfrei. ‚Luzi’ (hinten) hat mich, u.a., sicher zum Nordkap & zurück gebracht; zum Mittelmeer und zurück sind ‚Luzi & ich’ einfach dem Peter a.d.T. und seinem A-1 gefolgt, meistens jedenfalls. Moin Peter: „…war da irgendwas bei Mailand, oder so...?“. ,Zombie’ (Bildmitte) ist meine flotte Biene für ‚zwischendurch’ oder als Ersatzfahrzeug für He-Freunde. Und alle Technik ist pingeligst untersucht und überholt.
Allerdings wird eine Heinkel-Lehre niemals beendet sein, das weiß ich heute! Da sind wir auch schon! Sämtliche Menschen, mit denen ich durch die ‚Heinkelei’ in Kontakt kam, waren / sind eine wahrhaftige Bereicherung. Das ist, mal abgesehen von einem zwischenmenschlichen ‚Kolbenfresser’, jetzt ausnahmsweise mal mein völliger Ernst.
Meine anvertraute Dagmar allerdings hat mir auch genügend ‚Luft’ gelassen, um all diese Spinnereien in Ruhe bedenken, planen & durchführen zu können. Danke!
Es hat immer Spass gemacht und es war i. A. auch eine Freude, für Heinkel-Freunde zu schrauben. Unbeschreiblich das Gefühl, einen defekten Motor zu zerlegen, um festzustellen, dieser Motor war nach der Fahrzeug-Auslieferung noch nie offen. Man hat also noch Original-Verhältnisse vor sich! Kommt so’n bischen Archäologie-Gefühl rüber. Mumien, Moorleichen und so…!
Hugh, den Heinkel-Kollegen aus dem Osten Kanadas, und die Geschichte seines 103.A1 kennen zu lernen, war ein weiteres Hochlicht.
Dem Heinkel-Freund mit einer durchgeführten Reparatur oder Überholung an seinem Roller wieder Freude am Fahren angedeihen zu lassen, ist sicherlich neben dem Spaß am Schrauben ebenfalls Teil meiner Motivation.
Sehr interessant, auch dem HCD anzugehören und sein bisher stetiges Wachstum und Gedeihen verfolgen zu können. Allen Mitarbeitern & Zuarbeitern dort hiermit ein lautes & beherztes DANKE.
So, muss nun in den Keller, Walter von der Westküste soll vor der Saison seinen Motor wiederbekommen und Heinz wartet auf mich zum Einbau seines reparierten Motors. Haut rein, Loide!
Und wie war Eure Geschichte noch gleich?
Klaus, HCD-3072 (im Jan./Feb. 2017)